Mit einem Experiment an Bord eines Satelliten wurde in der kosmischen Strahlung ein Überschuss von Positronen entdeckt. Das könnte ein indirekter Hinweis darauf sein, dass sich in unserer Galaxie dunkle Materie verbirgt. Allerdings ist das nicht die einzige Erklärung.
Seit Wochen kursiert in Fachkreisen das Gerücht, mit dem Satelliten-gestützten Pamela-Experiment habe man in der kosmischen Strahlung den bisher deutlichsten Hinweis darauf gefunden, dass es in der Milchstrasse neben der leuchtenden Materie noch eine andere, unsichtbare Form der Materie gibt. Was an den Gerüchten dran ist, liess sich bisher nicht beurteilen. Denn die Pamela-Arbeitsgruppe hatte an Konferenzen zwar erste Einblicke in ihre Daten gewährt, diese aber unter Hinweis auf eine bevorstehende Publikation noch nicht kommentieren wollen. Vergangene Woche haben die Forscher nun die Katze aus dem Sack gelassen. An einem Seminar am Cern in Genf wurden die Ergebnisse vorgestellt und gleichzeitig ins Internet gestellt. Eine Publikation in «Nature» soll folgen.
Die Spiralgalaxie Messier 81. (Bild: Nasa)Eine Signatur – zwei InterpretationenDie Daten belegen, dass es in der kosmischen Strahlung zu viele hochenergetische Positronen – so bezeichnet man die Antiteilchen der Elektronen – gibt. Folglich muss es in der Milchstrasse eine bis jetzt unbekannte Quelle für diese Teilchen geben. Bei dieser Quelle könnte es sich um Teilchen der dunklen Materie handeln, die sich bei Kollisionen gegenseitig vernichten und dabei Positronen emittieren. Allerdings haben verschiedene Forscher darauf hingewiesen, dass der von Pamela gemessene Positronen-Überschuss auch von Pulsaren in der Milchstrasse – also von schnell rotierenden Neutronensternen – herrühren könnte. Auch die Pamela-Arbeitsgruppe weist in ihrer Publikation auf diese Möglichkeit hin – und lässt offen, welcher Interpretation sie den Vorzug gibt.
Dass es im Universum dunkle Materie geben muss, ist heute weitgehend akzeptiert. Man nimmt an, dass diese aus bis jetzt unbekannten Elementarteilchen besteht, die kurz nach dem Urknall entstanden sind und bis heute überlebt haben. Ab und zu treffen zwei dieser Teilchen aufeinander und vernichten sich gegenseitig. Dabei entstehen Positronen, Antiprotonen sowie Gammastrahlung. Anhand dieser Zerfallsprodukte versucht man die dunkle Materie indirekt nachzuweisen.
Die Pamela-Versuchsanordnung befindet sich auf einem Erdbeobachtungssatelliten und analysiert seit Juni 2006 die kosmische Strahlung. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Positronen, die ein sekundärer Bestandteil der kosmischen Strahlung sind. Sie entstehen, wenn die Protonen der kosmischen Strahlung mit dem interstellaren Gas zusammenstossen. Die Häufigkeit der so erzeugten Positronen zu modellieren, ist mit grossen Unsicherheiten behaftet. Man erwartet jedoch, dass die Zahl der Positronen mit wachsender Energie abnimmt.
Bestätigung früherer ExperimenteIn den vergangenen Jahren gab es erste Anzeichen dafür, dass die Positronen oberhalb einer Energie von 10 Gigaelektronenvolt von diesem prognostizierten Verhalten abweichen. Die Daten waren allerdings mit relativ grossen statistischen Fehlern behaftet und hörten genau dort auf, wo es spannend zu werden begann. Mit dem Pamela-Experiment ist es nun erstmals gelungen, die Untersuchung der Positronen auf Energien von bis zu 100 Gigaelektronenvolt auszudehnen. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Positronen oberhalb von 10 Gigaelektronenvolt tatsächlich anzusteigen beginnt. In der kosmischen Strahlung scheint es also einen Überschuss an Positronen zu geben, der nach einer Erklärung verlangt.
Die ersten Reaktionen auf die Pamela-Ergebnisse sind positiv. Für Martin Pohl von der Universität Genf sind sie der bis heute überzeugendste Hinweis darauf, dass sich im Halo der Milchstrasse dunkle Materie verbergen könnte. Es sei nun interessant zu sehen, wie sich die Zahl der Positronen bei noch höheren Energien entwickle. Wenn die Positronen nämlich tatsächlich aus der Vernichtung von Teilchen der dunklen Materie herrührten, so sollte die Masse dieser Teilchen einen charakteristischen Fingerabdruck im Positronen-Spektrum hinterlassen. Pohl und seine Kollegen hoffen, diese Signatur mit dem AMS-Detektor zu finden, der im Jahr 2010 zur Internationalen Raumstation gebracht werden soll.
Auch Olaf Reimer von der Stanford University ist von der Qualität der Daten angetan. Er ist überrascht, dass die Forscher der Pamela-Gruppe der Versuchung widerstanden haben, weitergehende Schlüsse aus ihren Daten zu ziehen. Andere Forscher haben da weniger Scheu. Im Internet sind in den letzten Wochen Dutzende von Arbeiten erschienen, in denen die Pamela-Daten mit den verschiedensten Modellen – mit und ohne dunkle Materie – verglichen werden. Als Grundlage dieser Arbeiten dienten Fotos, die heimlich während eines früheren Vortrags der Pamela-Arbeitsgruppe gemacht worden waren. Dass Physiker zu solchen Methoden greifen, ist für Pohl ein Ausdruck dafür, wie gross die Sehnsucht nach neuen Daten ist.
Den nächsten Termin, den sich die «Spione» vormerken sollten, ist die 213. Tagung der amerikanischen astronomischen Gesellschaft Anfang Januar. Dort wollen Reimer und seine Kollegen die ersten Ergebnisse des Fermi-Weltraumteleskops vorstellen. Dieses ist der Nachfolger des Egret-Teleskops, mit dem man in den 1990er Jahren festgestellt hatte, dass vom Zentrum der Milchstrasse mehr diffuse Gammastrahlung zur Erde gelangt, als man erwartet hatte. Dieser Überschuss wurde von Wim de Boer von der Universität Karlsruhe auf die dunkle Materie zurückgeführt, und zwar auf die gegenseitige Vernichtung von schwach wechselwirkenden Teilchen mit einer Masse von 60 Gigaelektronenvolt. De Boer hofft nun, dass seine Berechnungen durch das Fermi-Teleskop bestätigt werden.
Eine neue Theorie der dunklen MaterieFührt man sowohl den bei Pamela gemessenen Überschuss an Positronen als auch den mit Hilfe von Egret festgestellten Überschuss an Gammastrahlung auf die Vernichtung von dunkler Materie zurück, so sollten die Ergebnisse konsistent sein. Das sind sie jedoch nicht. Nima Arkani-Hamed vom Institute for Advanced Study in Princeton und Neal Weiner von der New York University haben deshalb soeben eine neue Theorie der dunklen Materie vorgeschlagen, die nicht nur zu den Pamela- und Egret-Daten, sondern auch zu anderen astronomischen Beobachtungen passt. Die Theorie sorgt auch deshalb für Furore, weil sie möglicherweise einen mysteriösen Effekt erklären kann, der jüngst am Beschleuniger des Fermilab in Chicago entdeckt wurde.
De Boer hat hingegen eine andere Erklärung für die inkonsistenten Ergebnisse parat. Bis jetzt habe die Pamela-Gruppe nur Daten zum Verhältnis von Positronen und Elektronen in der kosmischen Strahlung publiziert. Was wie ein Überschuss an hochenergetischen Positronen aussehe, könne deshalb auch ein Mangel an hochenergetischen Elektronen sein, der nichts mit dunkler Materie zu tun habe, sondern vielmehr mit der Art und Weise, wie geladene Teilchen in der Milchstrasse propagierten.
An dieser Stelle zeigt sich eine generelle Schwäche der indirekten Methoden zum Nachweis von dunkler Materie. Um die Daten interpretieren zu können, muss man eine Reihe von Annahmen machen, die mit Unsicherheiten behaftet sind. Es überrascht daher nicht, dass viele Forscher der Ansicht sind, die Natur der dunklen Materie lasse sich nur dingfest machen, wenn die indirekten Messungen durch einen direkten Nachweis ergänzt werden.
Quelle:
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